Es ist November 2005. Ich bin heute an einem Bekleidungsgeschäft vorbeigelaufen, bin noch mal umgedreht,
um einen zweiten Blick in die Auslagen zu werfen. Ich bin total verstört seitdem. Mir ist klar, dass es durchaus
Menschen gibt, die solventer sind als ich und mein Bekanntenkreis, aber was ich dort sah, hat mich völlig aus der
Bahn geworfen.
Dort wurde eine ganz normale (nix Gutschi) Damenlederjacke um 50 % reduziert angeboten. Trotz der Reduzierung
war der Preis höher als mein monatliches Bruttoeinkommen. In der Auslage befanden sich noch diverse solcher
„Angebote“.
Nun könnte man das alles unter der Rubrik „Meine Armut kotzt mich an“ ablegen. So einfach ist es aber nicht.
Ich habe manchmal das Gefühl die ganze Welt gerät aus dem Gleichgewicht. Seit ständig kolportiert wird, dass
der Leistungsgedanke zählen soll, frage ich: Steht die Leistung die mir als Käufer entgegengebracht wird im
vernünftigen Verhältnis zu dem, was ich dafür aufwenden muss? (jetzt gaanz langsam lesen): Und was hat derjenige,
der sich (ohne darüber nachdenken zu müssen) so eine Jacke „leistet“, geleistet, um entsprechend entlohnt worden
zu sein?
Vielleicht klingt das alles ein wenig „quer“. Nur habe ich die Befürchtung, dass wir gerade auf dem Weg sind,
den geforderten Leistungsgedanken komplett über Bord zu werfen.
Sollten in Deutschland die angebotenen Leistungen nicht eher „preiswert“ in seiner ursprünglichen Bedeutung sein?
Nämlich „ihren Preis wert“? Wohlstand definiert sich doch nicht dadurch, etwas zu kaufen, das sich in seiner
Beschaffenheit von ähnlichen Gütern nur durch seinen ungerechtfertigt hohen Preis unterscheidet.
Genau da ist meines Erachtens der Punkt. Bei der Betrachtung der Arbeitslöhne in Deutschland ziehen viele
Menschen zur Zeit Vergleiche mit Billiglohnländern und behaupten, wir wären nicht konkurrenzfähig. Mit diesem
Vergleich offenbaren Sie schon ihre Intention. Durch das Wort „billig“ stellen sie klar, dass sie an einer
leistungsgerechten Entlohnung gar nicht interessiert sind. Insoweit kann sich Leistung in deren Wirtschaftsmodell
auch nicht lohnen, weil Leistung billig (und nicht preiswert) entlohnt wird.
Ich glaube, es wird Zeit, dass ich auf unser Boot komme. Dort muss ich diesen Winter noch jede Menge Leistung
bringen, um in der kommenden Saison mit herrlichen Stunden entlohnt zu werden.
…das ist etwas, was sich wirklich lohnt! |