09. Mai - Urlaub vom Urlaub


Wir sind jetzt genau einen Monat unterwegs. Gestern waren wir noch drauf und dran heute Morgen um 5.00 Uhr aufzustehen, um zwischen den gesperrten Militärgebieten und Hel weiter zu fahren. Wir wollen uns unbedingt Zeit für Danzig nehmen und Wladyslawowo ist nicht wirklich ein Hinkucker.

Wir wollten wegen des angesagten zunehmenden Windes so früh los. Dann einigten wir uns auf 5.45 Uhr.

Als heute der Wecker klingelte, regnete es in Strömen. Es war kalt und so beschlossen wir einfach hier zu bleiben und einfach mal ein wenig auszuruhen.

Ausruhen?... Wie soll ich Euch das erklären, die Ihr jeden Tag Eurer Arbeit oder sonstigen Aufgaben frönt und Ihr der festen Überzeugung seid, wir hätten doch Urlaub?

Harm Clausen hat zu mir gesagt, es dauert ungefähr drei Wochen, bis man endlich da angekommen ist, wo man sich auch körperlich befindet und die Reise angenommen hat. Ich nehme an, Harm ist da schon trainierter als wir.

Ich glaube gestern und heute über Nacht sind wir diesem Zustand etwas näher gekommen.

Wir dachten oder denken zuviel an das Ende der Reise und ob wir es denn auch so, wie geplant nach Finnland schaffen. Weil wir glauben, dass uns ab da segeltechnisch zwischen den Schären nicht allzu viel passieren kann.

Wir zweifeln zu häufig an unseren Fähigkeiten und so fällt es nicht so leicht, die Zeit hier zu genießen. Auf der anderen Seite stelle ich jeden Tag fest, dass wir diesem Land hier nicht gerecht werden.

Wir sind Durchreisende. Wie jemand, der auf einem fremden Bahnhof steht und auf seinen Anschlusszug wartet.

Ich möchte gern mit Menschen von hier in Kontakt kommen, nehme mir aber nicht die Zeit. Weil wir ja weiter "müssen".

Ich vergleiche regelmäßig unsere Planung mit dem jetzigen Standort und wie Stefan Raab stehe ich in Gedanken vor mir, klopfe mit dem Zeigefinger auf meine Uhr und sage "Wir haben doch keine Zeit!".

Und diese Unruhe sind wir bisher noch nicht losgeworden. Heute könnte der Tag sein, an dem wir das ein wenig verarbeitet bekommen und wir mit der Hetzerei aufhören und trotzdem nicht langsamer dadurch werden. Denn am meisten lähmen die Gedanken.

Wir haben es gestern gesehen: Unsicher haben wir uns mit tausend Fragezeichen auf den Weg gemacht und erwarteten mit Unwohlsein das angesagte Wetter. Dann war es da und brachte Spaß und wir hatten keine Mühe mit dem Wind, den Wellen und der Einfahrt in den Hafen. Wir sind (als deutsche Beamte ;o) immer gut vorbereitet und können mehr, als wir uns eingestehen wollen. Diese Erkenntnis muss in Fleisch und Blut übergehen, ohne dass man dabei übermütig wird und den Respekt verliert.

Heute hier zu bleiben, obwohl der Wind gut segelbar war und der Hafen hier wirklich ungemütlich ist, war der erste Schritt lockerer zu werden. So blöd sich das auch anhört.

Und dann ist da noch etwas, was sich verändert. Da wir uns beim Segeln jetzt immer schön abwechseln, beginne ich während meiner Wache Selbstgespräche zu führen.

Ich denke über alle möglichen Dinge nach und unterhalte mich in Gedanken mit mir selbst darüber. Ein konkretes Beispiel wäre: wie kann man drei Tage vorher ununterbrochen im Radio darüber berichten, dass Frau von der Leyen und Herr Steinbrück sich heute treffen und die KiTaProblematik besprechen wollen? Mit stundenlangen Expertenmeinungen, Kommentaren und Vorberichten und was weiß ich. Wichtig ist doch nur, was bei dem Treffen raus kommt. Alles andere ist doch Zeitverschwendung und unnütze Information.

Manchmal erzähle ich mir sogar selbst Witze oder lache über witzige Situationen, die mir gerade in den Sinn kommen. Ich wusste gar nicht, dass ich so ein vielseitiger Gesprächspartner bin ;o)

Das hört sich bestimmt ein wenig wirr an. Aber: Was soll man die ganze Zeit machen, wenn man stundenlang auf das Meer und die Segel starrt?

Nach jedem Telefonat mit zu Hause, bin ich ein wenig verunsichert. Ich freue mich sehr allein die Stimme am anderen Ende zu hören, habe aber gar nichts auf die Schnelle zu erzählen, obwohl ich tausend neue Erlebnisse jeden Tag habe. Dann erzählt man sich irgendetwas und legt auf... und denkt: Mensch, das kann doch nicht sein, dass Du nichts mitzuteilen hast?

Emailschreiben ist da echt besser. Da konzentriert man sich auf den Inhalt und wenn fertig ist, ist fertig und horcht nicht noch in die Tastatur hinein.... aber die Stimme fehlt ;o)

Naja, ich lass Euch jetzt mal mit meinen krausen Gedanken in Ruhe und zeig Euch noch ein paar Bilder vom Hafen in Wladyslawowo. Wir waren gestern noch unterwegs und haben typisch polnisch (Pizza) gespeist. Aber diese Stadt erwärmt nicht mein Herz.

Für alle Segler: Der größte Fischereihafen Polens bringt auch entsprechenden Verkehr mit sich. Das bedeutet, dass hier im Hafenbecken ab 16.00 Uhr High-Life in Dosen ist. Unter Deck fühlt man sich "Inside-Waschmaschine", weil ununterbrochen Schraubengeräusche in erheblicher Lautstärke den Rumpf erfüllen.

Die Schlüssel für die Toilette holt man sich im blauen Gebäude (vermutlich der Zoll) und der schließt einem dann das Zolllager... ähh... die Toilette oder Dusche auf. Duschen kostet 7 Sloty, der Schacht 1,5.

Super sind die Boxen mit Auslegern, die nach Westen ausgerichtet sind und von einer hohen Mauer gegen Wind geschützt werden.