01. Mai – Leichen pflastern unseren Weg


Eigentlich wollte ich Euch ja verschonen. Aber seit wir auf dem Haff unterwegs sind, werden wir vom Myriaden von Fliegen-Mücken heimgesucht. Fliegen-Mücken... also sehen aus wie Mücken, stechen aber nicht.

Heute war es wieder besonders schlimm. Skrollan ist überseht von tausenden von diesen Flugkörpern. Die kommen angeflogen, setzen sich auf vorzugsweise helle Sachen und sterben einfach... und wir haben dann die Last mit den Kadavern.

Überall wo Du sitzt oder stehst, zerdrückst Du die Leichen. Es ist wirklich nicht schön.

Heute war ein wenig technischer Dienst angesagt. Die Wanten mussten neu gespannt werden und als wir losfahren wollten, war beim Ablegen ein komisches Motorgeräusch.

Es stellte sich heraus, dass die Stopfbuchse nachgeschmiert werden musste. Gesagt – getan!

...und los ging’s. So verließen wir um 7 Uhr Stepnitz, um nach Swinemünde zu segeln.

...es gab aber leider null Wind, so dass wir dann schon um 11.30 Uhr in Swinemünde unter Motor anlegten.

Was wir nicht wussten: Hier sind Feierlichkeiten um den ersten Mai herum direkt an der Marina.

Die Polen sind echt cool. Die bauen mitten in der Pampa eine Bühne und Musikanlage auf. Dort wird ein etwas zu sabbeliger Entertainer draufgestellt und junge Menschen singen, spielen, tanzen. Nebenbei verdrücken Mami und Papi das eine oder andere Bierchen und Würstchen, während Töchterchen in der Jazztanzgruppe eine durchaus ansehnliche Leistung abliefert. Klasse!

Unser Problem ist, dass wir auch schon mal von dem einen oder anderen gekostet haben.

Claudia ist gerade mit ein wenig Schlagseite in die Stadt und ich habe mich bereit erklärt das Boot im Auge zu behalten und wie Ihr gerade mitbekommt, die Tagesberichte zu schreiben.

Was soll ich Euch noch schreiben: In dem Buch, das ich gerade lese war wieder ein schöner Satz, den ich noch unter das Volk schleudern muss.

Ich lese gerade Lionheart – Über die Weltumseglung mit dem jüngsten Einhandsegler.

In der Vorbereitung auf seine Weltumseglung ist er vielen Menschen begegnet, die Ihm und seinem Vorhaben mit, sagen wir mal, negativen Schwingungen begegnet sind und sein Vorhaben schlecht geredet haben. Er hat sich daraufhin vorgenommen nach folgender Maxime zu handeln:

Behindere andere nicht, bloß weil Du nicht Ihre Fähigkeiten hast!

Das mag jetzt ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen sein. Aber in den letzten Jahren bin ich häufig Menschen begegnet, die meinten "das und das" ginge nicht und das sei alles viel zu gefährlich... und dann ging es doch. Vielleicht müssen wir neuen Ideen einfach nur etwas aufgeschlossener sein oder sie einfach nur wohlwollend zur Kenntnis nehmen, anstatt sie schlecht zu reden.

Nun denn.

Dann ist uns noch etwas aufgefallen. Hier in Polen ist es wunderschön (nicht nur wegen der schönen Frauen). Und viele Vorurteile haben sich allein durch das hier Sein in Luft aufgelöst.

Die Grundstimmung ist einfach wohlwollender und gelassener als noch wenige Kilometer westlich. Man hat hier den Eindruck: Die machen einfach was, die mühen sich. Hier brummt es und sie haben gar keine Zeit zum Jammern. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass man nicht alles versteht, was die hier sprechen...

Was mich aber mit Schrecken erfüllt, ist das, was mich gerade mit 100 Dezibel durchdröhnt.

Auch die Polen scheinen den Irish Folk für sich entdeckt zu haben. Und so quälen hier gerade zwei Fittis Ihre Gitarren und versuchen "Oirrrrignal Oirisch Fauolk" den Zuhörern zu vermitteln.

Ich denke an die langen Nächte mit "Gariffin" im Rieckhoff zurück, in denen ich Tellertaxi spielte und der Band am liebsten nur rhythmisch ihre Gitarre durchs Gesicht gezogen hätte... Ich stelle gerade fest, die singen nicht in rein angelsächsischer Mundart, sondern einer Mischung aus polnisch und englisch.

...ich muss toleranter werden.

Aber das Publikum ist gut. Seit einer halben Stunde hat nicht einer applaudiert.